Unser menschlicher Körper ist sehr komplex. Alle Vorgänge hängen "irgendwie" miteinander zusammen und beeinflussen einander. Auch wenn wir dies bis heute noch nicht vollkommen verstehen und erklären können.
Die Wissenschaft erkennt bereits an, dass unser DARM und das darin angesiedelte Mikrobiom (Gesamtheit aller enthaltenen Bakterien) einen maßgeblichen Einfluss auf unseren Körper und unser Wohlbefinden nimmt. Der DARM und die darin angesiedelten Darmbakterien beeinflussen unser Gehirn und sollen sogar an der Ablesung und Transkription unserer Gene beteiligt sein. Die sogenannte DARM-Hirn-Achse beschreibt sehr gut die Verbindung Bauch - Kopf, die in beide Richtungen funktioniert.
KOPF an BAUCH - BAUCH an KOPF
Interessanterweise befindet sich in unserem Bauchbereich die zweitgrößte Ansammlung an Nervenzellen unseres Körpers. Deshalb wird dieser Bereich auch als "Bauchhirn" oder zweites Gehirn bezeichnet.
Unser Verdauungssystem ist einfach nur genial. Die ca. 400m2 große Fläche der Darmschleimhaut bildet eine physikalische Abwehrbarriere nach außen und ist zugleich ein hochaktives Sinnesorgan. Unser gesamter Verdauungstrakt, von der Speiseröhre bis zum Enddarm, ist durchzogen von mehr als 100 Millionen Nervenfasern. Dieses komplexe Nervennetz wird auch enterisches Nervensystem (oder Nervensystem des Darms) genannt. Es steuert alle Empfindungen und Muskeln des Magen-Darm-Trakts und ist ähnlich komplex aufgebaut wie unser Gehirn. Zu recht verdient es den Namen "Bauchhirn".
Gehirn und Magen-DARM-Trakt kommunizieren sehr intensiv und auch schnell miteinander. Und das, wie schon erwähnt, wechselseitig. Der DARM arbeitet selbstständig und steuert alle Verdauungsvorgänge, die Bauchdurchblutung, die Darmbewegung und sogar einen Teil des Immunsystems. Hierbei wird der DARM von speziellen Hormonen und Neurotransmittern reguliert. Informationen werden aufgenommen, verarbeitet und über den VAGUS-Nerv, den Hauptnerv unseres vegetativen Nervensystems, ans Gehirn weitergeleitet. Diesen VAGUS-Nerv kannst Du Dir wie eine Art "Nerven-Autobahn" direkt zum Gehirn vorstellen.
Die DARM-Hirn-Daten-Autobahn
Du wirst überrascht sein zu erfahren, dass 90% der Kommunikation vom Bauch her gesteuert wird und nur unglaubliche 10% der Signale auf der Daten-Autobahn aus dem Gehirn stammen. Forscher geben zu, dass wir heute weit mehr über die Funktion des Gehirns und der Nervenzellen wissen, als über den DARM und sein Mikrobiom. Amazing! Und gerade deshalb ist es wichtig, den DARM zu unterstützen und zu pflegen, wenn wir langfristig gesund bleiben wollen.
DARM-Hirn-Autobahn in Aktion
Stell Dir vor, Du hast etwas Verdorbenes gegessen. Dein Darm nimmt das wahr. Das Gewebshormon Histamin wird ausgeschüttet. Die entsprechenden Infos werden zum Gehirn weitergeleitet. Dir wird eventuell übel oder Dein Kreislauf "sackt ab" oder Du wirst einfach nur unruhig und kannst nicht genau zuordnen, weshalb. Du kommst Kopfweh oder kannst Dich plötzlich nicht mehr konzentrieren. Direkte Standleitung - Bauch - Kopf.
Andere Richtung: Du bist aufgeregt, hast vielleicht ein Vorstellungsgespräch oder eine Prüfung. Plötzlich grummelt es in Deinem Bauch. Du hast das Gefühl, Du kommst nicht mehr von der Toilette... Oder Dein Bauch ist so verkrampft, dass er wichtig gehend weh tut. Du hast das Gefühl, Du kannst gar nicht mehr richtig durchatmen. Hunger hast Du plötzlich auch keinen mehr. Ist die Aufregung vorbei und Du entspannst Dich, geht es auch Deinem Bauch schlagartig besser. Direkte Standleitung - Kopf - Bauch.
Das DARM-MIKROBIOM
Doch nicht nur der VAGUS-Nerv ist an der Kommunikation Kopf - Bauch beteiligt. Ich erwähnte schon das MIKROBIOM. Das sind alle Bakterien, die sich in Deinem Bauch angesiedelt haben. Und das sind eine ganze Menge. Forscher gehen von folgendem Umstand aus: Wir haben zahlenmäßig mehr Bakterien im Darm als Zellen in unserem gesamten Körper. Menge der vermuteten Darmbakterien: 100 Billionen (Das ist 10 mal soviel, wie Dein Körper Zellen hat). Gesamtgewicht zwischen 1 und 1,5 kg. Jedes Darmbakterien - ein Einzelorganismus mit Stoffwechsel - in Symbiose mit unseren Darmzellen. Das ist schon eindrucksvoll.
Die Darmbakterien besiedeln unseren DARM und unterstützen unsere Verdauung. Wir können nicht ohne sie leben und sie nicht ohne uns. Stuhluntersuchungen haben ergeben, dass es zwischen 1.000 und 1.500 verschiedenen Darmbakterien gibt. Jeder Mensch hat sein ganz individuelles Muster aus 100 bis 400 verschiedenen Darmbakterien.
Die Zusammensetzung der Bakterienkultur ist abhängig unter anderem von der Art der aufgenommenen Nahrung. (Vegetarier und Veganer haben eine andere Flora als Mischköstler.) Aber auch der Lebensraum der Person ist ausschlaggebend. (Die Inuit im ewigen Eis ernähren sich anders als die Maori in den Tropen, und haben deshalb auch ein anders Spektrum an Darmbakterien.) Auch eine Medikamenteneinnahme - im Besonderen Schmerzmittel - verändern die Beschaffenheit unseres Mikrobioms. Antibiotika-Einnahme reduziert die Anzahl der Darmbakterien und die Variationsbreite unserer Flora.
Unsere Darmbakterien zersetzen und verstoffwechseln also unsere Nahrung. So weit - so gut - so bekannt.
Doch unser DARM-Mikrobiom kann noch viel mehr.
Beim Verdauen entstehen Stoffwechselendprodukte, sogenannte METABOLITE. Diese sind für viele andere Vorgänge in Deinem Körper wichtig. (Merke: "Gute" Darmbakterien produzieren nützliche Stoffwechselendprodukte. "Schlechte" Darmbakterien, wie zum Beispiel die Clostridien, produzieren schädliche Stoffwechselendprodukte oder gar Gifte, die Deinen Darm reizen, entzünden oder gar schädigen können.) Auch Darmpilze und Parasiten können auf das Milleau in Deinem DARM Einfluss nehmen.
Unser Körper nutzt einen Teil der Darm-Metaboliten für die Produktion von Neurotransmittern, und das bereits vor Ort - direkt im Darm. Neurotransmitter sind Nervenbotenstoffe unseres Körpers. Dein Körper nutzt einen Teil der Stoffwechselzwischenprodukte Deiner Darmbakterien, um daraus zum Beispiel SEROTONIN (unser Glückshormon), DOPAMIN (unser Hormon des körpereigenen Belohnungssystems) oder auch GABA (einen körperinternen Beruhigungsstoff) zu bilden.
Die produzierten Neurotransmitter können somit direkt und indirekt über die DARM-Hirn-Achse auf unser Gehirn und unsere Psyche wirken. Wir dürfen davon ausgehen, dass unsere Darmbakterien einen Einfluss auf unsere Emotionen, unser Gedächtnis und unserer Motivation haben. Auch an unserem Schmerzempfinden sollen unsere Darmbakterien modulierend beteiligt sein.
Hier zwei Beispiele:
SEROTONIN und der DARM
Serotonin ist unser körpereigenes Glückshormon. Es wird in bestimmten Bereichen unseres Gehirns und zu großen Teilen im DARM produziert. Das Darmbakterium Bifido infantis wird mit der Produktion von L-Tryptophan in Verbindung gebracht. L-Tryptophan ist der Grundbaustein für unser Serotonin. (MERKE: Nur bei einem völlig gesunden DARM ist der Körper in der Lage, entsprechende Mengen an Tryptophan zu bilden. Ein völlig gesunder DARM ist heutzutage allerdings sehr sehr selten. Deshalb sind wir auf eine Aufnahme von Tryptophan über unsere tägliche Nahrung angewiesen.)
Zurück zum Serotonin: Früher ging man davon aus, dass unser Serotonin im Gehirn hergestellt wird. Heute wissen wir, dass unser DARM 95% des körpereigenen Serotonin produziert und auch anteilig dort speichert. Stell Dir vor: Dein DARM ist ständig entzündet und gereizt. Was passiert mit Deiner Serotonin-Produktion? Und letztendlich mit Deiner Stimmung...?
GABA und unser DARM
GABA - Gamma-Amino-Buttersäure - ist einer unserer beruhigenden Neurotransmitter. GABA wirkt in Deinem Körper genau so, wie das bekannte Beruhigungsmittel Valium. (Valium dockt an den Rezeptoren für GABA an. Deshalb funktioniert es auch...) Unser Körper nutzt GABA, um sich selbst zu beruhigen, Stress zu reduzieren und unseren Schlaf zu verbessern. GABA kann Dich dabei unterstützen, mit den Reizen von außen besser klarzukommen und Deine Energiereserven besser aufzuladen. Und: Ja, Du kannst GABA als Nahrungsergänzungsmittel kaufen und einnehmen. Doch - wie genial ist es, wenn Dein Körper entsprechend Deinem Bedarf in der Lage ist, die ausreichende Menge an GABA zur Beruhigung selbst zu bilden? So ist das nämlich ursprünglich gedacht...
Ist ein Mikrobiom nun aus der Balance, kann dies die Produktion der Neurotransmittervorstufen maßgeblich beeinflussen. Folglich kann das dann auch Auswirkungen auf die Emotionen, die Stimmungen und unseren Handlungsimpuls haben. DARM-Hirn-Achse aufwärts.
Stress und Dein DARM
Dauerbelastungen und Stress können sich negativ auf unsere Darmbakterien auswirken. So gerät das Bakteriengleichgewicht unter Umständen aus dem Takt. Dies bewirkt wiederum, auch völlig ohne weitere äußere Einflüsse, dass unser Körper vermehrt CORTISOL ausschüttet. Eine vermehrte Cortisolausschüttung führt ihrerseits wieder zu anhaltender Anspannung. Das kann unter anderem entzündungsfördernde Prozesse im Darm begünstigen.
Auch unsere Schnellstresshormone ADRENALIN und NORADRENALIN haben zahlreiche Effekte auf unser DARM-Mikrobiom. Schüttet unser Körper diese Stresshormone aus, erhöht sich unser Puls. Die Durchblutung verändert sich. Die Darmaktivität wird gedrosselt. Unser gesamter Körper - alle Zellen - werden in den "Überlebensmodus" versetzt.
Zusätzlich landet das Noradrenalin dann auch noch in den Darmzellen. Die Darmbakterien reagieren auf das Vorhandensein des Stresshormons mit einer Veränderung ihres Stoffwechsels. Dies wurde bereits in mehreren Studien untersucht. Die "gestressten" Darmbakterien produzieren weniger oder gar kein L-Tryptophan mehr und können das vorhandene auch schlechter in Serotonin umwandeln. Das beeinflusst die Stimmungslage. Ungünstiger Weise kann es auch noch zu einer fehlerhaften Verstoffwechselung von L-Tryptophan kommen. (L-Tryptophan wird zu Kynurenin umgebaut, was unter Umständen proentzündlich im Körper wirken kann.) Wie Du siehst, das ist echt komplex. DARM-Hirn-Achse abwärts. Wenn Du Dich schon etwas eingelesen hast in diese Thematik, wird Dir wahrscheinlich der Begriff NEUROINFLAMMATION schon über den Weg gelaufen sein. Die ist ein weiterer sehr bedeutender Part in der Behandlung einer Depression.
DARM - Depression - DARM-Aufbau
Du hast jetzt schon eine ganze Menge über den Bezug von Deinem Darm zum Gehirn gelernt und Dir ist nun wahrscheinlich auch klar, warum langfristig die befriedigende Behandlung einer Depression weit über die Gabe von Psychopharmaka und einer Psychotherapie hinausgeht.
Möchtest Du als Betroffener/Betroffene langfristig wieder auf den eigenen Körper vertrauen und die körpereigenen Regulationsmechanismen nutzen, dann ist es nötig, sich um den DARM zu kümmern. Das braucht eine Zeit und erfordert Geduld und Durchhaltevermögen. Doch ich kann Dir versichern: Es lohnt sich auf jeden Fall. Den DARM wieder in den Zustand zu versetzen, dass er seine umfassenden Aufgaben wieder erfüllen kann, ist nicht nur natürlich, sondern macht Dich auch ein ganzes Stück weit unabhängig.
Gerne schauen wir uns das gemeinsam an. Vereinbare doch direkt einen TERMIN ...
Hier noch einige Quellenangaben, wenn Du genauer nachlesen magst:
- Dr. Sabrina Donati Zeppa, Professorin für Human Food and Nutrition, Università di Urbino.
- Chang, L. et al. (2022). Brain-gut-microbiota axis in depression: A historical overview and future directions. Brain Res Bull. 182:44-56.
- Doll, J. P. K. et al. (2022). Fecal microbiota transplantation (FMT) as an adjunctive therapy for depression – Case report. Front Psychiatry.
- Donati Zeppa, S. et al. (2022). Nutraceuticals and physical activity as antidepressants: The central role of the gut microbiota. Antioxidants (Basel). 11 (2): 236.
- Knuesel, T. & Mohajeri, M.H. (2022). The role of the gut microbiota in the development and progression of major depressive and bipolar disorder. Nutrients. 14 (1): 37.
- Koponen, K. K. et al. (2021). Associations of healthy food choices with gut microbiota profiles. Am J Clin Nutr. 114 (2): 605–616.
- McGuinness, A.J. et al. (2022). A systematic review of gut microbiota composition in observational studies of major depressive disorder, bipolar disorder and schizophrenia. Mol Psychiatry.
- Qin, Y. et al. (2022). Combined effects of host genetics and diet on human gut microbiota and incident disease in a single population cohort. Nat Genet. 54: 134–142.
- Sanada, K. et al. (2020). Gut microbiota and major depressive disorder: A systematic review and meta-analysis. J Affect Disord. 266: 1–13.
- Suda, K. & Matsuda, K. (2022). How microbes affect depression: Underlying mechanisms via the gut-brain axis and the modulating role of probiotics. Int J Mol Sci. 23 (3): 1172.
- Zhao, H. et al. (2021). A pilot exploration of multi-omics research of gut microbiome in major depressive disorders. Transl Psychiatry. 12: 8.